In der Nachbetrachtung klingt die oft zitierte Geschichte von Waltraud Horn, der ehemaligen Mittelfeldspielerin der BSG Chemie Leipzig, fast ein wenig heroisch, wenngleich auch ein bisschen tragisch. Ihre Anfrage vom November 1967 an den Fußballverband der DDR, doch endlich »mal den Frauenfußball zu unterstützen«, beantwortete der damalige DFV-Präsident ganz offiziell in einem Brief mit Bezug auf eine Rede zum Jahresabschluss der Männernationalmannschaft im Leipziger Hotel Astoria: »Spieler und Funktionäre waren über Ihr Interesse am Fußballsport hoch erfreut«, schrieb der Präsident damals, »allerdings glaube ich nicht, dass wir uns in absehbarer Zeit mit Frauenfußball in der DDR befassen werden. (…) Vielleicht können Sie aber an einem Lehrgang für Schiedsrichter teilnehmen, um so in enger Verbindung mit dem Fußballsport zu stehen…«.1 Waltraud Horn ließ sich durch die plumpe und heute kaum vorstellbare Abfuhr nicht entmutigen. Sie gründete zusammen mit ihrem Vater und späteren Trainer Paul Horn und der BSG Chemie im darauffolgenden Jahr die erste Frauenfußballmannschaft in Leipzig. In Februar 1969 startete ganz offiziell der Trainingsbetrieb. Anfangs nur zu dritt, erst Ende August 1969 umfasste das Team 18 Spielerinnen. Das Training und die Spiele fanden in grün-weißen Trikots auf dem Gelände des Georg-Schwarz-Sportparks (dem heutigen Alfred-Kunze-Sportpark) statt. Ihren ersten Kontakt mit der BSG Chemie beschrieb sie damals ganz nüchtern: »Ich wurde erstmal persönlich eingeladen. Und habe dann mit den Leuten gesprochen. Die haben zugesagt und dann habe ich meinen Vati gefragt, ob er uns trainieren wollte (…) und er hat zugesagt.«2
Trotzdem ist die skizzierte Geschichte von Waltraud Horn und dem Fußballverband der DDR eine exemplarische. Sie beschreibt zum einen den Kampf der Frauen, organisiert und in Vereinsstrukturen Fußball spielen zu können, sie zeigt aber auch klar die Widerstände der – zumeist männlichen – Verbandsoffiziellen und die ideologischen Ambivalenzen dieser Zeit. Die fast 30-jährige Geschichte des DDR-Frauenfußballs ist also mit Sicherheit nicht frei von Widersprüchen, sie ist weder eine Erfolgsgeschichte der Emanzipation, noch ein besonders herausragendes Beispiel von Geschlechterungerechtigkeit. Vielleicht ist der DDR-Frauenfußball – insbesondere ab den 1970er Jahren – ein Abbild der realsozialistischen Zeit: Einer Zeit, in der politischer Anspruch und Wirklichkeit im Alltag bisweilen weit auseinanderlagen.
Im Vergleich zu vielen anderen Sportarten – vor allem denen, die olympisch waren oder die symbolhaft für die Stärke kommunistischer Wehrhaftigkeit im Kalten Krieg standen – fristete der Frauenfußball ein Schattendasein. Er war nicht als klassischer Leistungssport anerkannt und bewegte sich im Bereich von Freizeit- und Erholungssport. Insofern war Frauenfußball in der DDR zwar möglich, war allerdings eher geduldet und besaß weder Priorität noch eine besonders große Lobby. Mit offiziellen Verboten – wie in frühen Jahren der Bundesrepublik – musste man sich zum Glück nicht herumschlagen. Die Etablierung hing daher stark davon ab, mit welcher Vehemenz die Frauen in ihrer Stadt ihr »Spielrecht« einforderten. Auch deshalb gehört zur vollständigen Geschichte des DDR-Frauenfußballs, »dass es eine Bewegung von unten war.«3
Nicht im Sinn eines »subversiven Aktes« systemoppositioneller Natur, sondern als eine Art basisdemokratisch eingeforderte Nische, die mal mehr oder weniger bewusst auch mit sozialistischen Frauenbildkonstruktionen kokettierte. Die Sporthistorikerin Carina Sophia Linne resümiert daher: »Die DDR-Fußballerinnen haben sich Freiräume geschaffen in einem vom Leistungssport dominierten System. Ihre Motivation war ganz einfach: Sie wollten Fußball spielen.«
Während also in Westdeutschland der Frauenfußball lange Zeit verboten war und Spiele quasi »illegal« stattfanden, starteten die DDR-Frauen zwar holprig, aber zumindest anerkannt. Wobei die Anerkennung nie eine »wirkliche« war. Denn in beiden System argumentierte man – mal offen, mal hinter vorgehaltener Hand – gegen das »Unästhetische« im Frauenfußball und gab sich besorgt um das Konterkarieren der Volksgesundheit und Gebärfreudigkeit der aktiven Frauen. Eine Meisterschaft durfte es anfangs nicht geben – aber eine »Bestenermittlung«. Immerhin.
Im Vergleich zum subventionierten Männerfußball waren Frauenteams in den Anfangszeiten weitestgehend eigenfinanziert. Die Bezahlung von Trainingsequipment und Reisen zu Auswärtskicks wurde selbst gestemmt. Waltraud Horn beschreibt das ganz anschaulich, wenn sie erzählt, dass es eine »tolle Sache« war, von der BSG »auch mal einen Trainingsanzug zu bekommen«4. Diese Erzählung deckt sich nicht ganz mit den bisweilen idealisierenden Beschreibungen der Sportsoziologie, in denen im Ost-West-Vergleich von einem »ideologischen und strukturellen Vorteil« der DDR-Teams erzählt wird. Weil viele Frauenteams als sogenannte »Betriebssportgemeinschaften« einen Volkseigenen Betrieb (VEB) im Hintergrund hatten, waren auch die sportlichen Bedingungen besser, waren beispielsweise »die Trainingsplätze abgesichert, das Training wurde auf die Arbeitszeiten abgestimmt, es gab Freistellungen für Trainingslager (…) Insofern hatten die Frauen bessere Voraussetzungen, um ihren Sport neben dem Beruf auszuüben.«5
Die vermeintliche institutionelle Besserstellung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ohne die »Jetzt erst recht«-Stimmung vieler aktiver Spielerinnen der Gründungsjahre, ohne das Durchsetzungsvermögen gegen die Verbände, kaum eine Etablierung von Frauenteams stattgefunden hätte. Die 360 organisierten Frauenmannschaften, die es 1981 in der DDR gab, bilden diese durchaus respektable Entwicklung ganz gut ab.
Und trotzdem mag man die Genese des Frauenfußballs in der DDR nicht so wirklich als Erfolgsgeschichte verkaufen. Wie sollte dies auch gehen: Marginal war und blieb die Sportart seit eh und je, die Zuschauer:innenbeteiligung hielt sich in Grenzen, ebenso das mediale Echo, eine echte Meisterschaft, die diesen Namen verdient, wurde den Spielerinnen stets vorenthalten. Die erste Frauenfußball-Nationalmannschaft gab es erst 1990 – in einer Zeit, in der das Land schon fast nicht mehr politisch existierte. Und Fans? Der fehlende Wettbewerb ließ echte fankulturelle Bestrebungen, Rivalitäten und fußball-typische Exzesse kaum zu.
Die Gründe für diese Diskrepanz liegen ganz offensichtlich auch in der patriarchalen Überformung realsozialistischer Gleichberechtigungsversuche. Gesellschaftlicher Fortschritt für Frauen wurde in der Regel von Männern bestimmt und definiert. Trainerinnen sucht man in der Geschichte des DDR-Frauenfußballs ebenso vergebens wie Verbandsfunktionärinnen. Gleichberechtigung war zwar qua Gesetz vorhanden, wurde aber nicht weiter thematisiert. So hatte sich die Emanzipation in der DDR anders als später im Westen vollzogen: stiller, persönlicher, weniger bemerkbar.6
Auf der anderen Seite war eine der ideologischen Botschaften, dass sich Frauen mit ihrem Bekenntnis zum Sozialismus und zur DDR von der Unterdrückung durch rückständige Männer und denen von ihnen geprägten Geschlechterbildern befreien konnten. Getreu dem Motto »Arbeite mit – plane mit – spiele mit«? Der abgewandelte Leitspruch des Artikel 21 der DDR-Verfassung stimmt also nicht ganz. Gleichberechtigung in der DDR, das hieß vor allem: Arbeiten wie die Männer. Das hieß aber auch, ein Selbstverständnis als moderne Frauen zu entwickeln, die aus ihrer beruflichen Erwerbstätigkeit vor allem finanzielle Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein zogen. Gemeint war also, die Geschlechterfrage als ökonomische und soziale zu betrachten. Mit der ökonomischen Befreiung der Frau und der gleichberechtigten Integration in den Arbeitsprozess würde automatisch die soziale und individuelle Freiheit stattfinden. Soweit die Theorie. Stimmig war das allerdings nie. Zumindest auf viele Aspekte von privater Selbstverwirklichung, gleichberechtigter Teilhabe an Politik und Gesellschaft etc. trifft das nicht zu. Und es trifft eben auch nicht auf den Fußball zu. »Trotz aller Verbesserungen, die Frauen in der DDR erlebten – etwa bei der Gleichstellung in Ehe und Familie, bei der Förderung ihrer Berufstätigkeit oder der Wahlfreiheit beim Kinderkriegen –, war und ist das Konzept der SED ein paternalistisches. Männer entschieden über Frauen, was gut für sie war.«7 Und Fußball für Frauen: naja – das war eben nur »halbgut«.
Die Fußballerinnen in der DDR vermochten sich – zumindest im Kleinen – einen gewissen Grad an Anerkennung zu erspielen. Das Fehlen klassischer und von Ressentiments geleiteter Rollenklischees in der offiziellen Politik machte dies im Vergleich zur BRD etwas einfacher. Natürlich war die »Frauenfrage« im Realsozialismus nicht gelöst, aber ein aufgeschlossener Umgang mit Themen, wie beispielsweise der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Abtreibung, geschlechtertypischer Sozialisation und Frauen in leitenden Positionen ist vielleicht ein Indiz für etwas bessere Grundvoraussetzungen. Wenngleich der Kampf im Alltag eben jene Rückwärtsgewandtheit immer offenbarte. Was vielleicht auch an der ökonomisierten Überformung der Geschlechterverhältnisse lag. Denn Frauenautonomie in DDR hatte immer etwas Funktionales und wurde stets aus den ökonomischen Bedingungen heraus interpretiert. Die Dimension ganz alltäglicher Herrschafts- und Machtverhältnisse spielte kaum eine Rolle.
So erstritten sich Frauen im Sportsystem der DDR eine Nische und versuchten die nicht eingelöste Gleichberechtigungsrhetorik des Realsozialismus mit Leben zu füllen. Das gelang sicherlich nicht an allen Standorten gleichermaßen. Als im September 2021 mit Ricarda Hornig eine langjährige Spielerin der BSG Chemie auf dem Podium im Alfred-Kunze-Sportpark saß und ihre aktive Zeit Revue passieren ließ, wirkte alles, was sie über ihre aktive Zeit erzählte, ganz »einfach« und »normal«. »Wir haben auch öfter mal in Unterzahl gespielt, das war Realität – aber Hauptsache, wir haben gespielt.« Die Selbstverständlichkeit, mit der sich Frauen im DDR-Fußball ihren Platz gesucht haben, hat etwas herrlich Unprätentiöses. Mit etwas Abstand und dem Wissen über die Fallstricke dieser Jahrzehnte gebührt ihnen aber auch ein dezenter Applaus und ein Mehr an erinnerungskultureller Sichtbarmachung.
Fußnoten
1 Zit. n. Carina Sophia Linne: Freigespielt. Frauenfußball im geteilten Deutschland. Frauenfußball in der DDR, Berlin-Brandenburg 2011, S. 41.
2 Ebd.
3 Ebd., S. 52.
4 Ebd., S. 71.
5 Zit n. Nicole Selmer: Freiraum in der Nische, in: Jungle World 16/2011.
6 Gerda Szepansky: Die stille Emanzipation in der DDR. Frankfurt/Main 1995, S. 13.
7 Anna Kaminsky: Frauen in der DDR, Berlin 2016, S. 19.