Fußballgeschichten von Mädchen und Frauen in Leutzsch und anderswo

»Charmante Mädchen«

Text: Britt Schlehahn

Warum wissen wir so wenig von Fußball spielenden Mädchen und Frauen bei der BSG Chemie, bei den Vorgängervereinen und überhaupt in der Stadt, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und im gesamten Land? Was hielt und hält sie davon ab? Von 1968–1987 und von 2000–2007 kickten Mädchen und Frauen in Leutzsch.

Sie finden sich bisher weder in den umfangreichen Fußballbüchern noch auf Teamfotos in der Sachsenstube. Warum ist das so?

»Miss Nettie Honeyball in ihrem Fußball-Kostüm«

Der Beginn

Fußball wird seit den 1890er Jahren in Leipzig gespielt. Auf den ehemaligen Bauernwiesen an der Kurt-Eisner-/Fockestraße treffen sich männliche Jugendliche und spielen in Alltagskleidung auf der Wiese, so überliefern es zumindest Berichte und Bilder. Erste bürgerliche Fußballvereine gründen sich 1893. Drei Jahre später finden sich der Leipziger FC 1893, der FC Wacker 1895 und der VfB Leipzig zum Verband Leipziger Ballspiel-Vereine zusammen. Ebenfalls 1893 konstituiert sich in Gera der Arbeiter-Turnerbund. Fußball spielt dabei keine Rolle. Es wird noch 30 Jahre dauern, bis Meisterschaften innerhalb des Arbeiter-Turn- und Sportbundes (ATSB) ausgetragen werden. Für den damaligen proletarischen Sport gilt Fußball als kapitalistischer Sport, der das Solidaritätsgefühl untereinander zerstört. Frauen und Mädchen als Aktive spielen sowohl im bürgerlichen als auch im proletarischen Sport kaum bis gar keine Rolle.

Ganz anders verhält es sich in England. Hier spielen in den 1890er Jahren Fußballerinnen vor 10.000 Zuschauern:innen. Der Leserschaft der Illustrierten »Sport im Bild« wird im November 1895 ein Porträt der Kapitänin des British Ladies‘ Football Clubs – Nettie Honeyball – präsentiert. Dazu erscheint der Artikel »Die Damen und das Fußballspiel«. Der Autor mit dem Kürzel VOX nimmt »mit Freude« zur Kenntnis, dass sich bürgerliche Frauen dem Radfahren, Reiten, Eislaufen, Tennisspiel, Schwimmen, Schießen, Fechten sowie Golf verschrieben haben. Aber vom Fußball sollten sie gebührenden Abstand halten, so VOX. 1902 erfolgt das Verbot des Frauenfußballspiels in England.

»Anmut und Grazie«

In Leutzsch gründet sich 1892 ein Arbeiter-Turnerbund, in den nur Männer eintreten können. »An das Frauen- und Kinderturnen
sowie Fußball- und Handballspiel dachte noch niemand.«1

Allerdings ändert sich das zehn Jahre später. Es entsteht eine eigenständige Turnerinnen-Abteilung. Turnen gilt als die Sportart, die dem weiblichen Geschlecht besonders entgegenkommt, um Anmut und Grazie zu vermitteln – eine Einstellung, die im bürgerlichen und proletarischen Lager noch lange gelten sollte.

Der Berliner Oberturnwart Max Heiser entwickelt extra für Mädchen und Frauen 1915 das Spiel Torball. Wichtig ist ihm, dass das Spiel mit dem Ball ohne Körperkontakt und Kampf stattfindet, weil sich das seiner Meinung nach nicht mit der traditionellen weiblichen Bewegung verträgt. 1917 ändert sich die Bezeichnung in Handball.

Aber es sind nicht nur die Zuschreibungen von Männern, was Mädchen und Frauen schicklich sei. 1921 erscheint von der Frankfurter Sportjournalistin Martha Werth das 32-seitige Heft »Frauenart und Leibesübungen«.2

Unter »Frauenart« versteht die Autorin, dass »vor allem die Frau anders als der Mann« ist. »Vor allem die leichtere Verletzlichkeit der weiblichen Brust verlangt andere Übungsformen für ihre Stärkung, aber auch größere Schonung etwa bei Bewegungsspielen.« Laut Werth tendiert die Frau rein äußerlich zu langsameren und ruhigeren Bewegungen als der Mann, was sie zugleich auch geduldiger macht. Aber daraus erwächst auch, dass die Autorin Frauen Kampfgeist und Ehrgeiz abspricht. Sie hält allerdings fest: »Trommelball, Schlagball, Stockball (Hockey), Faustball und Handball werden eifrig gespielt. Diese Ballspiele haben den Vorteil, dass sie außer der fortwährenden schnellen Laufbewegung in freier Luft geistige Reize bieten. Es sind Mannschaftsspiele; jede Mitspielerin hat besondere Arbeit auf ihrem Platz zu leisten, z.B. als Stürmerin oder Verteidigerin und dabei mit kluger Berechnung den Ball zu senden.

Die Feinheiten des Zusammenspiels wollen herausgefunden, erprobt und geübt werden, und die wechselnden Zufälle des Spiels bieten immer neue Reize. Dazu kommt, dass neben der Spielfreude auch eine gewisse fröhliche Kampfstimmung vorhanden ist, ohne dass der Kampf je ausarten kann, da sich, mit Ausnahme vom Stockball und Handball, die Mannschaften nicht mischen.« (1921, S. 23) Fußball taucht in ihren Ausführungen nicht auf.

Allen vorgebrachten Argumenten zum Trotz spielen Frauen in den 1920er Jahren dennoch Fußball. Am 31. Juli 1921 treten in Pulsnitz die Fußballerinnen des SSA Dresdensia ATV Dresden gegen den Radebeuler BC 1908 an. Die Partie geht zugunsten der Radebeuler mit 2:1 aus.

Eine Frage in der Monatsschrift »Sport und Sonne« der Deutschen Sportbehörde für Leichtathletik im Heft 6/1925. © »Sport und Sonne« 6/1925, S. 24

»Der Niederländer empfiehlt Mädchen das Handballspiel, da ihnen das Werfen entgegen käme. Für Jungen sei Treten und somit Fussball die ›richtige‹ Sportart.«

Gruppenbild der Kommunistischen Jugendgruppe Leipzig-Leutzsch im Sportpark; Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

»Männliches Kampfspiel« und »Mannweib«

1925 schreibt Georg Benedix. Leiter der Bundesschule des Arbeiter-Turn- und Sportbundes (ATSB), in der Ausgabe Nummer 3 von »Die Freie Turnerin«, »dass es Frauen gibt, die Fußball spielen wollen. Was sagt ihr dazu? Glaubt ihr, dass Mädels das ganz allein von sich aus wollen? Nein, die Annahme wäre irrig.« Eigenständigen Willen zum Fußballspiel schließt Benedix aus. Er argumentiert: »Hier stecken Männer dahinter Was ist da zu sagen? Vor allem das eine, dass wir den Fußballsport für Frauen ablehnen. Das Fußballspiel ist ein männliches Kampfspiel mit all den Begleiterscheinungen, die der Kampf mit sich bringt.«3 Somit ist der Weg zum Fußball auch im Arbeitersport für Mädchen und Frauen abgeschnitten, obgleich explizit nur die Schwerathletik verboten ist.

»Macht der Sport die Frauen glücklich?« die Frage wird in der populären Monatszeitschrift »Uhu« im Oktober 1931 noch mal ganz grundsätzlich gestellt. Dazu gibt es eine Fotoserie von Umbo (Otto Maximilian Umbehr) mit Aufnahmen von den Deutschen Frauen-Meisterschaften der Leichtathletik in Magdeburg. Begleitend dazu erklärt Geheimrat Hugo Sellheim, Leiter der Universitäts-Frauenklinik in Leipzig, seine Sicht auf den Leistungssport und Frauen. Er spricht ihnen die Fähigkeit zum Leistungssport gänzlich ab.

»Die vorliegenden, ganz unbefangen aufgenommenen Fotografien mit dem bald furienhaft verzerrten, bald mit den zu Tode erschöpften Gesichtszügen, vor während und nach dem Versuch der Höchstleistung im Wettbewerb, zeugen von einer solchen Übertreibung des begleitenden Affektes, dass schon allein daraus Gefahren für Leib und Seele drohen dürfen.«

Für Sellheim steht fest: »Durch zu viel Sport nach männlichem Muster« werde der Frauenkörper »direkt vermännlicht, die weiblichen Unterleibsorgane verwelken«. Als Resultat entsteht seiner Meinung nach ein »künstlich gezüchtetes Mannweib«.

Frauen im Arbeiterfußball

Auch im Arbeitersport findet eine Debatte zur Wirkung des Sports auf die Frauen statt. »Die Bundesgenossin« (die Beilage zur Förderung der weiblichen Interessen im Arbeiter-Turn- und Sportbund) stellt am 2. Dezember 1931 die Frage: »Muss die Frau Sport treiben?« Kritisch wird dabei festgestellt, dass es eine »bedauerliche Tatsache« darstelle, dass im bürgerlichen Sport mehr Frauenabteilungen in Sportvereinen zu finden sind als im Arbeitersport. Um dies zu ändern, wird zu einer »gemeinsamen Kampffront des Proletariats zur Einbindung der Frau« aufgerufen.

Und wie sieht die Realität in Leipzig im Allgemeinen und bezogen auf den Fußball im Speziellen aus? 1997 hält Thomas Adam für den Arbeitersport von 1861 bis 1933 fest, dass seiner Schätzung nach Mitte der 1920er Jahre in den 38 Arbeiter-Turn- und Sportvereinen 2.526 Turnerinnen und 25 Fußballerinnen organisiert waren. Visuell stellt er seiner Behauptung ein Foto von der 25-Jahrfeier der Schönefelder Fußball-Vereinigung 03 zur Seite. Darauf sind Männer und Frauen zu sehen. Nimmt man jedoch die Originalbroschüre zur Hand, so bleibt die Suche nach einer weiblichen Fußballmannschaft folgenlos. Vielmehr erklärt der Verein darin seine Freude, dass seit 1927 eine Damenhandballmannschaft existiert. Handball wurde damals noch als Feldhandball auf den Fußballplätzen gespielt. So kam es nicht selten vor, dass Frauen nicht nur Handball, sondern auch Fußball spielten. Aufnahmen eines Fußballspiels liegen derzeit nicht vor. Einzig ein Gruppenfoto in der Sammlung des Sportmuseums zeigt die Handballmannschaft des jüdischen Sportvereins Bar Kochba um 1930 mit vor ihr liegendem Hand- und Fußball.4

Allerdings listet der ATSB im Jahr 1925 insgesamt 91.102 erwachsene Mitglieder in der Fußballsparte auf, davon 347 weibliche; 156 sind in Sachsen vertreten – genannt wird unter anderem der Verein Viktoria 06 Leipzig in Leutzsch. Genauere Informationen existieren dazu noch nicht.5

Als der Sportverein Jahn 1932 im heutigen Alfred-Kunze-Sportpark sein 40. Jubiläum feiert, findet laut Festprogramm am 12. Juni auf Platz A von 17:30 bis 17:45 Uhr eine Frauenfeier-
stunde (!) statt. Bei der Abendveranstaltung unter dem Motto »40 Jahre Arbeitersport« treten Mädchen und Frauen des Vereins mit »reifenartigen Freiübungen« auf gefolgt von Übungen mit Stab und Keule sowie am Stützbarren, Tanz und moderner Gymnastik.

Ein offizielles Hand- oder Fußballspiel von Frauen und Mädchen ist bisher nicht bekannt. Da ist der bürgerliche Sport um einiges weiter. Bei der Eröffnung des Sportparks Charlottenhof bei der Turn- und Sportgemeinschaft 1848 Leipzig-Lindenau in der heutigen Erich-Köhn-Straße am 25. Mai 1924 finden sowohl Handball- als auch Faustballspiele von Frauen und Mädchen statt.

Frauen und Männer im Arbeiterfußball; Quelle: Mitgliederstatistik aus dem ATSB-Jahrbuch 1924
Fuwo, 30/1959, S.13.
Fuwo, 5/1960, S. 11.

»Nicht um das Für und Wider«: Der Beginn in der DDR

In der DDR-Sportzeitung »Fuwo« ist im Juli 1959 unter der Überschrift »Fußball kann auch das Spiel der Frau sein!« zu lesen: »Turnerinnen in schmucker Tracht, beschwingte Gymnastik ausführend, können uns entzücken. Baß erstaunt aber registrieren wir den Willen von Frauen, Fußball spielen zu wollen.« Die Mannschaften werden dabei nicht benannt. Trotzdem geht es um die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen, weil »Fußball (…) der Kampfsport des Mannes« sei. Dem Artikel sind drei Fotografien zur Seite gestellt, die zahlreiche Zuschauer bei einer Begegnung zeigen. »Wiewohl nicht alle Spielerinnen über eine Venusfigur verfügen, spielten sie doch mit Herz und vor allem betont sportlich.« Die Spieldauer betrug zwei Mal 35 Minuten.6

Ein Jahr später ist wieder in der »Fuwo« vom Frauenfußball zu lesen. Ganz diplomatisch lautet die Überschrift »Nicht um das Für und Wider«7.

Es wird von Aktivitäten von Frauen im Fußball berichtet, die als »die ersten schüchternen Gehversuche« beschrieben werden. Die Fotomontage eines Fußballspiels eines Dresdener gegen ein Leipziger Team in Dresden soll zeigen, »mit welcher Begeisterung auch die Frauen dieser Sportart huldigen können. Zwar wirken die Bewegungen im Kampf um den Ball noch etwas ungeschickt, aber von Kampfeseifer spricht diese Szene unbedingt.«

Trotz dieser Berichte gelten in der DDR in dieser Zeit trotz gesetzlich vorgegebener Gleichberechtigung traditionelle Geschlechterstereotypen. In der Ratgeberliteratur wie »Kleine Enzyklopädie Die Frau« aus dem Jahr 1964 ist im Kapitel »Frauensport« im Absatz »Leistungssport« zu lesen: »Neuere Bestrebungen, vor allem von Seiten der Sportmedizin, haben das Ziel, der Frau einen eigenständigen, von ihr selbst für sich entwickelten Leistungssport zu geben, der sie vom Vorbild und Vorsprung des Mannes löst und ihrer Andersartigkeit entspricht. Der Frauensport soll durch Berücksichtigung von Körperbau, Körperfunktion und Psyche der Frau ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit fördern. Diese Gesichtspunkte haben dazu geführt, dass im internationalen Sportverkehr bestimmte Sportarten vom Frauensport ausgeschlossen sind (Boxen, Ringen, Gewichtheben, Skispringen, Radsport, insbesondere Straßenrennen, und von den Mannschaftssportarten Fußball, Rugby, Eishockey und Wasserball, die also entweder ausgesprochene Kraftübungen darstellen, sehr kampfbetont sind oder bei erheblichen Kraftaufwand gleichzeitig eine sehr große Ausdauer verlangen.) Erleichterungen für die Frau wurden zum Beispiel in der Leichtathletik durch die Einführung leichterer Geräte bei den Wurfübungen geschaffen. Der körperlichen und psychischen Veranlagung der Frau entsprechen am meisten Disziplinen mit rhythmisch-harmonischen Bewegungsabläufen: Gymnastik, Turnen, Kunstspringen, Eis- und Rollschuhkunstlauf. In diesen Übungen ist die Frau dem Mann oft überlegen.« (1964, S. 43)

Frauen finden im Fußball ganz offiziell seit Beginn der 1960er Jahre als Schiedsrichterinnen einen Platz. Die »Fuwo« berichtet im Februar 1962 von der ersten Schiedsrichterin in Berlin unter der Überschrift »Mit Faltenröckchen und Pferdeschwanz« über Ingeborg Gehm. Ihr folgen 1964 Nelly Hornung in Rostock und im Juli Eva-Maria Liebethal in Sebnitz.

Fußball bei der BSG Chemie und anderswo

1967 schreibt die Leipzigerin Waltraud Horn einen Brief an den DDR-Fußballverband. Nachdem ihr Handballtrainer verstorben war, möchte sie Fußball spielen und eine Mannschaft gründen. Dafür sucht sie sich von offizieller Seite Unterstützung. Das Antwortschreiben des Vorsitzenden ist sehr deutlich8 und zeigt, dass die DDR-Funktionäre kein Interesse an Fußball spielenden Mädchen und Frauen besitzen. Das ist bei den Verantwortlichen der BSG Chemie anders und nach Gesprächen im Herbst 1968 startet im Februar 1969 der Trainingsbetrieb in Leutzsch.

Gleichzeitig druckt die DDR-Sportzeitschrift »Deutsches Sportecho«9 einen Leserbrief ab, der überschrieben ist mit »Kein Kontra der Grazie« und beschreibt ein Turnier der BSG Leipzig Nordost mit insgesamt vier Frauenteams aus Halle, Wittenberg, Bergwitz und Leipzig. »Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb der Frauenfußball allerorts so wenig für voll genommen wird. Die Mädchen aus Halle klagen zum Beispiel darüber, dass sie seit Juni keine Möglichkeit mehr zum regelmäßigen Training erhalten haben.«

Material, Bilder etc. fehlen sowohl zu diesem Ereignis als auch zum erwähnten Frauenteam der BSG Leipzig Nordost und zeigen einmal mehr, wie viel Recherche zum Frauenfußball noch nötig ist. Auf der Titelseite der »Fuwo«-Ausgabe vom 3. März 1970 ist neben zwei großen Abbildungen von Fußballern auch ein kleines Foto einer Gruppe von Jungen zu sehen, in deren Mitte eine Frau sitzt und etwas aufschreibt. Wenige Seiten später erfolgt die Aufklärung in der Rubrik »Das Fuwo-Thema« von Manfred Binkowski: »Eine junge, hübsche Frau auf der Titelseite der fuwo? So wird bestimmt mancher beim Anblick dieser Ausgabe fragen. Es geht uns jedoch weder um jung noch um hübsch – vielmehr um die Frauen ganz allgemein. Eine nicht unerhebliche Anzahl weiblicher Fußballenthusiasten ist ebenso wie ihre männlichen Kollegen unermüdlich für unseren Sport tätig, als Schiedsrichterin, Betreuerin, Funktionärin und auch Übungsleiterin.«

Als Beispiel dient ihm die 18-jährige Sprechstundenhelferin Petra Peitzer, die seit drei Jahren beim BFC Dynamo von der Betreuerin der Kindermannschaft zur Übungsleiterin aufstieg und nun auch Kurse besucht.

Als »Charmante Mädchen – unterwegs von Tor zu Tor. Traum vieler Schiedsrichter: Lasst viele Frauen um mich sein! Fußball-Frauen freuen sich – das Leder rollt jetzt auch für sie!« stellt die DDR-Wochenzeitung »Wochenpost« Fußballerinnen Ende des Jahres 1970 vor. Die Fotoserie zum Artikel ist im Georg-Schwarz-Sportpark entstanden und zeigt die Spielerinnen der BSG sowie Trainer Paul Horn. Im Text selbst ist von ihnen nicht die Rede.

BSG Chemie Leipzig - Bezirksmeisterinnen 1971/72
Interview 1975

»Mädchen stürmen«

In dem Artikel »Mädchen stürmen König Fußball. BSG Chemie Leipzig im Gespräch« aus dem Jahr 1975 kommen Fußballerinnen einmal selbst zu Wort. Auf die Frage »Setzt sich Frauenfußball durch?« antwortet die Rechtsverteidigerin Hannelore Gaida, Lagerfacharbeiterin: »Schwer zu sagen. Aber der viele Schweiß, hartes Training und die freie Zeit, die wir investiert haben, sollen nicht umsonst gewesen sein.«

Ob es sich dabei um »Frauensport« handelt, erklärt Libero Johanna Schreiber: »Ich meine, ja. Warum soll das schöne Mannschaftsspiel Fußball nur eine Domäne der Männer sein? Wenn wir eines
Tages ebenso gut spielen wie die Spitzenmannschaften bei den Männern, würde sich diese Frage von selbst beantworten.« Auch Ängste gegenüber dem möglicherweise fehlenden Charme von Fußball-
spielerinnen, kontert Mittelfeldspielerin und Studentin Sylvia Holm: »Wer behauptet, ihn durchs Fußballspielen verloren zu haben, hat keinen gehabt.«

Das Team der BSG Chemie ist das erfolgreichste beim Hallenturnier in Neubrandenburg. Ein Spiel auf Platz 1 im Georg-Schwarz-Sportpark war trotzdem nicht drin. Bereits für das Jahr 1977 beschreibt der langjährige Betreuer Karl-Heinz Baumgart die kritischen Stimmen im Verein gegenüber Frauenfußball, zehn Jahre später löst sich die Mannschaft ganz auf. Einige Spielerinnen wechseln zu Rotation Ost (später SV Post Leipzig).

Neustart beim FC Sachsen

2000 startet ein erneuter Versuch für Mädchen- und Frauenfußball in Leutzsch. Susanne Herzfeld legt dem Vorstand ein Konzept vor. Darüber gibt es keine Diskussionen. 2002 entstehen Angebote für B- und C-Juniorinnen, die sehr gut angenommen werden. Ein Jahr später folgt eine Frauenmannschaft auf dem Kleinfeld, deren Spielerinnen teilweise vorher beim SV Post spielten. Trainiert von Jürgen Ulm und betreut von Björn Burgold und Torsten Waldheim mischen sie sofort die Kleinfeld-Stadtliga auf und gewinnen den Meistertitel 2005. In Anlehnung an Meistertrainer Alfred Kunze nennen sie sich »Alfreds Enkelinnen«.

Die nachfolgende Saison in der Bezirksliga auf dem Großfeld endet nicht so erfolgreich. Gleichzeitig vergrößert sich das Angebot für Mädchen und Frauen. Es entsteht ein zweites Frauenteam für das Kleinfeld und eine Bambini-Gruppe. Von Seiten des Vereins kümmert sich Martin Scholz um die Abteilung.

2007 erreichen die B-Juniorinnen den Landestitel und wechseln auf Wunsch des Sächsischen Fußball-Verbandes in das neue Sächsische Leistungszentrum um den neuen Verein LFC 07 – darunter Spielerinnen wie Lisa Reichenbach oder Marie-Luise Herrmann. Reichenbach durchlebt dann die Leipziger Frauenfußballentwicklung. Nach dem bankrotten LFC geht es 2010 zum 1. FC Lokomotive, der sogar eine Saison in der ersten Bundesliga spielt. Noch vor dessen Insolvenz wird der FFV Leipzig 2013 gegründet, schließlich übernimmt 2016 RB Leipzig das Leistungszentrum von dem mittlerweile insolventen Verein.

Meisterinnen 2005

Literatur:
Adam, Thomas: Der Arbeitersport in Leipzig zwischen 1861–1933. Weimar, Böhlau 1997.
Buytendijk, F. J. J.: Das Fußballspiel – eine psychologische Studie, Würzburg 1972.
Uhlmann, Irene (Hrsg.): Kleine Enzyklopädie Die Frau, Leipzig 1964.
Vereinsschrift Jahn 1932.
Werth, Martha: Frauenart und Leibesübungen, Göttingen 1921.
Wolter, Christian: Arbeiterfußball in Berlin und Brandenburg 1910–1933, Berlin 2015.

 

Fußnoten

1 Der Verein, seit 1906 TSV Jahn, wird ab 1920 gemeinsam mit Victoria 06 und Sturm 1910 auf dem heutigen Gelände des Alfred-Kunze-Sportparks aktiv sein.

2 Martha (Werth) Wertheimer, geboren 1890 in Frankfurt/ Main, studiert Geschichte, Philosophie und Englische Philologie, 1917 promoviert sie an der Frankfurter Universität, ist Mitglied der Frankfurter Eintracht, Fechterin, arbeitet als Journalistin für die »Offenbacher Zeitung« und ist als Schrift- leiterin bei der Eintracht für die Vereins- nachrichten zuständig. Nach 1933 erfolgt die Entlassung aus der Zeitung, sie geht nach Berlin, kehrt nach Frankfurt zurück und muss mit ihrer Schwester 1941 in ein sogenanntes Judenhaus ziehen und bei Deportationen mit- helfen. Ein Jahr später steht ihr Name selbst auf der Liste. In Anbetracht dessen be- geht sie wahrscheinlich Suizid. (Vgl. Eintracht-Jahrbuch, Eintracht Frankfurt Museum 2020, S. 36).

3 In den Hochleistungslisten der Sozialis- tischen Arbeitersportinternationalen Wien, Prag, Leipzig sind für Frauen folgende Disziplinen notiert: 60 m, 100 m, 200 m, 1.000 m, 4 x 100 m- sowie 10 x 100 m-Staffeln, Weit- und Hochsprung, Speer- und Diskuswerfen, Schleuderballwerfen und Kugelstoßen, vgl. Horst Ueberhorst u.a.: Arbeitersport- und Arbeiterkulturbewegung im Ruhrgebiet, Opladen 1989, S. 206.

4 Vgl. Yuval Rubovitch, Gerlinde Rohr: Mit Sportgeist gegen die Ent- rechtung. Die Geschichte des jüdischen Sportvereins Bar Kochba Leipzig. Leipzig 2020, S. 48: »Die ehemalige Bar Kochbanerin Gerda Landsberg (geb. 1917, verh. Taylor) berichtete über den Damen- und Mädchenfußball bei der Übergabe von Fotos und Dokumenten an Andrea Lorz für die Sammlungen des Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig.« S. 160.

5 Vgl auch Christian Wolter: https://www.arbeiterfussball.de/historisches/spieler-fans/frauenfu%C3%9Fball/

6 Fuwo, 30/1959, S. 13.

7  Fuwo, 5/1960, S. 11.

8 Vgl. auch im Beitrag »Immerhin nicht verboten«
S. 13 und »Chronik« S. 50.

9 Deutsches Sportecho vom 3./4. Januar 1968.

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