Interview mit Helga Roos

»Da ist immer noch viel Männerdominanz«

fragen: Falk Werner, Sebastian Kirschner

Helga Roos war im September 2021 eine der Teilnehmerinnen des Podiums »Kick it like?« auf der Tribüne im Alfred-Kunze-Sportpark. Sie ist seit vielen Jahren Fan der Frankfurter Eintracht und unterstützt das Eintracht-Museum in seiner sporthistorischen Arbeit. Bis 2020 hat sie beim Sportkreis Frankfurt e.V. gearbeitet und dort über 15 Jahre das »Gallusprojektebüro« mit aufgebaut. Neben der Erforschung der Geschichte ihres Stadtteils Gallus beschäftigt sich Helga seit vielen Jahren mit der Frauen- und Sportgeschichte, vor allem mit dem Spannungsverhältnis von Widerständischem und Verfolgungen. Zuletzt arbeitete sie zur Bedeutung der Frankfurter jüdischen Sportvereine von 1933–1945 und organisierte die Ausstellung »100 Jahre Arbeiterfußball« mit. Die Frankfurter Frauenfußballhistorie sowie die Geschichte der ehemaligen Spielerin Lotte Specht ist ihr ein besonderes Anliegen.

Hallo Helga! Schön, dass wir dich interviewen können. Kannst du dich kurz vorstellen? Was verbindet dich mit dem Thema Frauen im Fußball und was mit der SG Eintracht Frankfurt?

Merkwürdig, dass ich bei Eurer ersten Frage schon nachdenken muss. Naja, beides – Frauen und die SGE – sind für mich einfach so selbstverständlich. Das ist vielleicht das verbindende Moment. Wobei ich natürlich weiß, dass meine Identitäten nicht die aller Frauen sind.

Also: Ich bin jetzt 67 Jahre alt, seit März 2020 in Rente.
Ich bin mit Fußball aufgewachsen, die Spiele und die Kneipe danach waren das wichtigste in dem Dorf, in dem ich aufwuchs. »Frausein« als kollektives Bewusstsein war für mich der maß
geblichste Erkenntnis- und Lernprozess als junge Erwachsene.

Und irgendwann verbindet sich das dann. Die SGE ist jetzt seit knapp zwanzig Jahren Teil meines Lebens, mit Dauerkarte, Projekten im und mit dem Museum zur Vereinsgeschichte und Frankfurter Sportgeschichte. Und Frau sein und die Sichtbarmachung von Frauen im Fußball und der Fußball und Sportgeschichte ist da ein logischer Bestandteil.

Flyer zur Veranstaltung »Kick it like?«
Lotte Specht, Titelbild Illustriertes Blatt, März 1930

Du hast dich mit weiteren Mitstreiter:innen mit der Frankfurter Fußballerin Lotte Specht befasst. Mittlerweile gibt es sogar einen erinnerungspolitischen und sporthistorischen Verein, der ihren Namen trägt. Wer war Lotte Specht, was macht sie bis heute so bedeutsam und warum sollten sie eigent- lich möglichst viele kennen?

Die 1920er Jahre waren das Jahrzehnt der Frauenpower im Sport. In allen möglichen Sportarten rackerten sich Frauen nicht mehr daran ab, dass sie diese in »ihren« Vereinen ausüben können – sie gründeten eigene Frauensportvereine. Fußball war eine der letzten »Bastionen« und hier war es Lotte Specht aus meinem Gallusviertel in Frankfurt, die einen Aufruf in die Zeitung setzen ließ und mit den Mädels dann den 1. Deutschen Damenfußballclub Frankfurt (1. DDFC) gründete. Natürlich gab es auch damals schon in mehreren Orten kickende Frauen, aber Lotte Specht und der 1. DDFC wurden durch die Presseberichterstattung bekannt, vor allem durch die Artikel von Helli Knoll, einer der wenigen Sportjournalistinnen dieser Zeit.

Knoll war Frauenrechtlerin und Mitbegründerin des Frankfurter Frauenrudervereins »Freiweg«. Von ihr stammt auch der selbstbewusste Satz: »Wir Frauen treiben den Sport, den wir wollen und nicht den, der uns gnädigst von den Männern erlaubt wird.« Lotte Specht fasziniert mich aber nicht nur als Fußballerin, sie war eine vielseitige Frau, vor allem eine Stehauf-Frau. Die Geschichte des 1. DDFC war nur eine kurze: Die Frauen lösten den Verein auf, als die Verhöhnungen und Angriffe von Männern mehr und mehr von Nazis kamen. Beruflich wollte Lotte Specht eigentlich von Anfang an eine Theaterausbildung machen, ihre Eltern drangen aber auf einen »bürgerlichen Beruf«. Sie absolvierte die Handelsschule, sparte sich aber durch den Verkauf von Süßwaren in einem Frankfurter Vergnügungspalast Geld für die Schauspielschule zusammen, die sie dann auch absolvierte. Nach 1945 gründete sie das erste Frankfurter Mundart-Theater, hatte aber auch kein Problem, wieder als Sekretärin zu arbeiten, als das Theater nicht mehr lief. Kabarett blieb ihre Leidenschaft, mit Vorführungen zum Beispiel im Frankfurter Frauenknast oder als Rentnerin auf Mallorca. Ebenso der Fußball und der Frauenfußball. Einer ihrer größten Schätze: die Gratulation der Frauenfußball-Nationalmannschaft zu ihrem 90. Geburtstag 2001 mit einem signierten Foto aller Spielerinnen. Für sie damals am wichtigsten: Birgit Prinz, die damalige Spielerin und Kapitänin des 1. FFC Frankfurt.

» Wir Frauen treiben den Sport, den wir wollen und nicht deN, deR uns gnädigst von den Männern erlaubt wird.«

Helli Knoll, 1930

Daran vielleicht anschließend, was sagt die kurze Geschichte des 1. DDFC Frankfurt über das damalige Geschlechterverhältnis aus? Und wie nimmst du es im Vergleich heute wahr?

Ich kann eigentlich nur nochmal die situationsbedingte Konsequenz von Frauen wie Helli Knoll wiederholen, die darauf abzielte, sich selbstbewusst und selbstorganisiert zusammenzufinden. Die Strukturen, auch im Fußball, im Sport, waren und sind männerdominiert und männergeprägt. Auch im bis 1933 starken Arbeitersportverband war das nicht anders. Und heute: Ein nicht erreichtes Lebensziel der kürzlich 93-jährig verstorbenen Eintrachtlerin Ilse Bechthold, Grand Dame der Leichtathletik, war, dass sich Frauen endlich auch im Zehnkampf messen können. Oder dass solche Dinge, wie die Bikinivorschriften in vielen Disziplinen oder Kameras unter den Starterinnenblöcken endlich abgeschafft werden. Von den weitestgehend frauenfreien Strukturen in den großen Sportverbänden will ich hier gar nicht anfangen. Eigentlich überflüssig, zu denen hier noch Platz zu verschwenden.

Wie sieht es gerade ganz konkret bei der SGE mit der Förderung von fußballspielenden Frauen aus? Von außen betrachtet wirkt das ganz schön ambitioniert. Und: Wie verbreitet sind Frauen auf den Rängen im Stadion?

Der 1. FFC Frankfurt hatte ja eine lange und sehr erfolgreiche Geschichte, hat Spielerinnen wie Birgit Prinz, Steffi Jones, Nia Künzer, Sandra Smisek und Nadine Angerer hervorgebracht, hat eine Menge nationale und internationale Titel gewonnen, und war der Dauerrivale von Turbine Potsdam. Die Fusion mit der SGE war – denke ich heute – ein richtiger und guter Schritt, da die Männer-Bundesligavereine mit ihren Möglichkeiten von Geld und Strukturen das Modell der eigenständigen Frauenfußballvereine überrollt hatten. Die Fusion ist meines Erachtens auch gut gelungen. Der Staff des 1. FFC Frankfurt wurde übernommen, durch die Vereinsmedien haben die Mädels eine viel größere Präsenz. Im Mädchenfußball und Frauenamateurbereich war die SGE ja auch schon recht gut aufgestellt, aber der 1. FFC Frankfurt war der erste Verein am Platz. Wie hier Austausch und Mix läuft, weiß ich allerdings nicht.

Und auf den Rängen? Da ist mein Blick sicher verquer. Also ich gehe geistig wie gewohnt erst ins Museum, dann über die Treppe durchs Gewusel auf den Gängen hinter der Nordwestkurve am Tisch der Ultras vorbei bis zum Block 30B und runter zu meinem Platz. Und ich sehe dabei ohne Ende Frauen. Wie das prozentual ist, könnte ich nicht sagen, vielleicht nehme ich einfach Frauen mehr wahr als Männer. Anders ist es dann im Verhalten. Da ist immer noch viel Männerdominanz, die auch nicht selten ätzend ist. Typen, die sich in ihrem Gehabe und besoffenen Gegröle Frauen als Objekt suchen. Auf jeden Fall ist es nervig, so überflüssig wie nötig, sich dagegen zu wehren, und traurig, wie viele Leute das zwar auch scheiße finden, aber das Maul halten.

Du bist ja Mitte September 2021 Podiumsteilnehmerin bei unserer Veranstaltung »Kick it like? Mädchen und Frauen bei der BSG Chemie Leipzig« gewesen. Du warst dann auch erstmals bei uns im Alfred-Kunze-Sportpark. Wie war so dein Eindruck vor Ort: Vom Stadion, der Veranstaltung und unserem Verein?

Das gemeinsame Fußballfest hatten wir ja schon mal im FSV-Stadion mit dem Flutlicht-Freundschaftsspiel. Das war so großartig alles: die Farben aus den Blöcken, der Wechselsang, Timmy Chandlers gloriose Rückkehr, schließlich euer tolles Geschenk, das Krause-Duo!

Ich hatte mich sehr über Eure Einladung gefreut, war aber anfangs skeptisch, ob ich die Richtige bin. Die Angst habt ihr mir aber schnell genommen, zuallererst hatte ich mich schon vorab in dem Podcast zu »Kick it like?« zuhause gefühlt. Und das Stadion hat mich sofort begeistert, so Klick, Klick Geschichte des Arbeiterfußballs, womit ich mich ja auch viel beschäftigt habe. Die schöne Holztribüne und vor allem, dass das Stadion, jeder Bereich durch Euch, die Mitglieder und Fans, geprägt ist; der Familienblock, die Unkrautbeseitigung und das Plattenverlegen an dem neuen Kunstrasenplatz, die irre Flutlichtprovisoriumsgeschichte… Bei uns ist ja auch viel los: die ganze Corona-Zeit über haben die Ultras alles rund ums Waldstadion verschönert, in der Stadt musste und muss viel geklebt und überklebt werden, es brauchte neue Orte und Aktionen, sich zu treffen, was zu machen, was wogegen zu machen. Das Eintracht Museum und die Fanabteilung hatten die zweite Runde von »Spurensuche« aufgelegt, diesmal ging es um die »Vereinsführer«, also Mittäter im Faschismus, und die eigene Verantwortlichkeit. Es gab mehrere Fahrten, zum Schluss nach Buchenwald.

Aber zurück in den AKS: Ihr könnt bei Euch im Stadion Dinge umsetzen, da würden mir im Gelände des Waldstadions auch etliche Gestaltungsmöglichkeiten einfallen.

Ich habe viel mitgenommen von der Veranstaltung, auch wie ihr sie organisiert hattet, die Atmosphäre auf der Holztribüne, wie viele Interessierte kamen; für mich auch, dass Rainer Hertle1 und Gerlinde Rohr2, die ich beide kenne und sehr schätze, da waren. Ricarda Hornigs3 Geschichte war beeindruckend, sie ist einfach Fußballerin durch und durch. Und für sie war es offensichtlich gut, dass ihre Geschichte und die der anderen Frauen bei der BSG wiederentdeckt und sichtbar gemacht wurde.

Die Veranstaltung war meines Erachtens auch exemplarisch und irgendwie typisch: step by step kamen auch bei uns auf dem Podium die eigenen Frauenerfahrungen, wurde öffentlich ausgesprochen, worüber (öffentlich) viel zu selten geredet wird. Strange fand ich, dass keine Funktionäre vom Verein da waren. Aber warum eigentlich, das war ja unser Thema.

Mit deinem Idealismus in Sachen Sichtbarmachung von Frauen rund um den Frankfurter Fußball hast du in Leipzig viele Leute beeindruckt. Kannst du der BSG, dem Verein und auch seinen Fans noch etwas mitgeben?

Ich denke mir, die letzten Jahre mit den Recherchen zu »100 Jahre AKS« und mit »Kick it like?« waren für euch total intensiv. Da wurde schon Einiges zu Tage gebracht, da habe ich nur Hochachtung vor. Und die Idee, die während der Veranstaltung im September kundgetan wurde, wieder Frauen- und Mädchenfußball bei der BSG aufzubauen, ist ganz schön herausfordernd. Ich bin gespannt, wie ihr das macht, irgendwie traue ich Euch, so wie ich Euch kennengelernt habe, aber alles zu. Und auf das Buch und die Broschüre freue ich mich natürlich schon sehr. Und natürlich auf weitere Begegnungen.
SGE und BSG Chemie forever!

Wir danken dir ganz herzlich!

Helga Roos im Rahmen ihres Vortrags 2023 in Leipzig. Quelle: privat

Fußnoten

1 Zit. n. Carina Sophia Linne: Freigespielt. Frauenfußball im geteilten Deutschland. Frauenfußball in der DDR, Berlin-Brandenburg 2011, S. 41.

2 Ebd.

3 Ebd., S. 52.

4 Ebd., S. 71.

5 Zit n. Nicole Selmer: Freiraum in der Nische, in: Jungle World 16/2011.

6 Gerda Szepansky: Die stille Emanzipation in der DDR. Frankfurt/Main 1995, S. 13.

7 Anna Kaminsky: Frauen in der DDR, Berlin 2016, S. 19.

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